INHALT
Scham ist ein sehr starkes Gefühl, das große Auswirkungen darauf haben kann, wie frei wir uns in unserem Leben fühlen.
Uff, was sollen nur die Leute denken? Kennst du diesen Satz aus deinem Leben? Manchmal würde man sich am liebsten in Luft auflösen oder im Boden versinken. Wenn wir uns schämen, werden wir rot im Gesicht und beginnen verlegen und unsicher zu lächeln. Und am Schlimmsten wird es, wenn wir dann auch noch anfangen, uns dafür zu schämen, dass wir uns schämen.
In diesem Artikel erfährst du, was Scham überhaupt ist, wie sie entsteht und dass es allerdings gute Möglichkeiten gibt, um mit deiner eigenen Scham umzugehen.
Was ist Scham? Eine Definition
In der Psychologie wird die Scham zu den klassischen „Affekten“ gezählt.1https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/4758/04_ErsterTeil_Kapitel_2.pdf?sequence=5&isAllowed=y Im Gegensatz zur Stimmung ist Scham also kein dauerhaftes Gefühl, sondern eher eine kurzfristige Gefühlswallung oder Gefühlsregung, die normalerweise nach kurzer Zeit wieder abebbt.
Allerdings kann Scham dafür sorgen, dass dauerhaft unsere Stimmung beeinträchtigt wird – beispielsweise, wenn sie uns davon abhält, für uns wichtige Dinge zu tun oder wenn wir uns sehr lange darüber ärgern, dass wir uns schämen.
Der Sozialpsychologe Jonas Rees definiert Scham als „aversive Emotion, die häufig mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit einhergeht“. „Aversiv“ bedeutet in diesem Fall, dass sie zu den Dingen gehört, die wir als Mensch nicht unbedingt fühlen wollen – im Gegensatz etwa zu Stolz.
Was sind die Ursachen und wie entsteht Scham?
Die Ausprägungen dieser vermeintlichen Unzulänglichkeiten können extrem unterschiedlich sein.
Dem einen ist es vielleicht peinlich, dass er mit einem alten Volvo zum Date vorgefahren kommt. Eine andere Person hat Alpträume davon, in einem Referat oder Vortrag einen plötzlichen Blackout zu bekommen. Und wieder jemand anderes traut sich nicht, seinen Körper im Schwimmbad zu präsentieren.
Das sind nur einige Beispiele. Jeder von uns wird wahrscheinlich auf rationaler Ebene sagen können, dass all das IN WIRKLICHKEIT nicht besonders schlimm ist. Doch auf einer tiefenpsychologischen Ebene ist der Mensch ein absolutes Herdentier – und die Angst vor Ablehnung von anderen oder sogar eine irrationale Furcht vor Ausschluss aus der Gruppe gehören zu den unangenehmsten Gefühlen, die wir kennen.
Doch damit ist auch die andere Seite der Scham-Medaille verknüpft:
Wie alles im Universum hat nämlich auch die Scham eine tiefere Funktion für uns Menschen. Ohne die Scham wäre ein gesellschaftliches Zusammenleben wohl kaum möglich. Gesunde Scham sorgt dafür, dass wir uns an Recht und Ordnung halten und mit anderen Menschen vernünftig und nett umgehen.
Blöd wird es aber vor allem an den Stellen, an denen unsere Scham uns dabei im Wege steht, ein freies und energieerfülltes Leben zu führen.
Das kann zum Beispiel passieren, wenn wir das Gefühl haben, (vermeintlich) den gesellschaftlichen Normen nicht zu entsprechen. Zum Beispiel, weil wir nicht hübsch genug, nicht schlau genug, nicht perfekt genug, nicht nett genug sind – oder was auch immer.
Schäm dich! Typische Schamgefühle
Scham ist nicht gleich Scham. Es gibt durchaus ganz verschiedene Arten von Scham, die wir hier einmal näher beleuchten möchten.
Toxische Scham
Toxische Scham – oder auch „destruktive“ Scham – ist im Prinzip das Gegenstück zu einer gesunden Scham. Also jene Scham, die uns hilft in einer Gesellschaft gut zusammenzuleben.
Eine klassisches Ausprägung toxischer Scham ist ein hoher Grad an Perfektionismus beziehungsweise an Selbstablehnung, wenn wir eine Aufgabe nicht perfekt erledigen oder uns für nicht schön oder gut genug halten.
Weibliche Scham
Weibliche Sexualität ist normalerweise schambehafteter als die männliche. Alleine schon durch die Anatomie bedingt.
Die nach innen gerichteten weiblichen Geschlechtsorgane sind in der Regel deutlich empfindlicher und verletzlicher als die männlichen. Doch das alleine ist nicht der Grund.
Für viele Sexualforscherinnen und -forscher ist auch die eher männliche Dominanz der letzten zwei Jahrtausende ein Faktor dafür, dass speziell Frauen sich eher schämen.
Das bezieht sich auf ihre eigene Lust und Sexualität, aber auch auf andere Themen, die sich „für eine Frau nicht ziemen“, wie zum Beispiel Wut. Die positive Nachricht: Auch wenn es ein langsamer Prozess ist, geht es im 21. Jahrhundert deutlich bergauf.
Auch hier stellt sich für dich persönlich die spannende Frage, ob es Momente gibt, in denen dir die Scham im Wege steht, deine freieste Version zu entfalten und vital und selbstbestimmt zu leben.
Nackte Scham
Generell empfindet aber die überwältigende Mehrheit aller Menschen ein gewisses Maß an Scham, wenn es um das Thema Nacktheit geht. Auch Männer. Oft bekommen wir es schon sehr früh eingebleut, dass Nacktheit etwas Anrüchiges sei. Unrealistische Schönheitsideale aus der Werbung oder Filmen, mit denen wir uns dann vergleichen, tun ihr Übriges.
Wie immer gilt: Eine gesunde Scham hilft, dass wir gut zusammenleben – eine übersteigerte Scham sorgt dafür, dass du dich vielleicht in deiner Partnerschaft oder selbst in Alltagssituationen nicht wohl fühlst.
Fremdschämen: Wenn die Handlung der anderen peinlich wird
Sicherlich hast du auch den Begriff des Fremdschämens oder der Fremdscham schon einmal gehört.
Das Witzige dabei ist: Worüber du dich bei anderen schämst, sagt meistens deutlich mehr über dich selber aus als über die andere Person.
Manche Leute mögen es nicht, wenn jemand sehr vorlaut oder extrovertiert ist. Wieder andere würden sich am liebsten selber verkriechen, wenn jemand einen Vortrag verbockt oder auf einer Bühne sehr schiefe Töne singt. Und eine dritte Person würde niemals in der Öffentlichkeit mit dem Partner streiten.
Was ist es bei dir? Wo schämst du dich normalerweise immer fremd?
Das Geheimnis hinter der Fremdscham lautet Projektion und ist eine unglaublich intelligente Aktion unseres Bewusstseins. Anteile an uns selber, die wir nicht mögen, blendet unser Bewusstsein gerne aus. Wenn wir diese Anteile bei anderen entdecken, dann projiziert unser Bewusstsein das ganz automatisch auf uns selber. Wir identifizieren uns quasi mit dieser Person.
Fremdscham kann dich also einiges über deine eigene unterbewusste Scham lehren.
Lerne, mit deiner Scham umzugehen
Es gibt viele Techniken aus der Psychologie sowie der Persönlichkeitsentwicklung, die dir helfen können, konstruktiv mit Scham umzugehen. Einige wertvolle Tools möchten wir dir nun vorstellen:
1: Stelle dir die richtigen Fragen
Was ist das Schlimmste, was passieren kann?
Stell dir vor, bei einem Vortrag rutscht dir auf einmal deine Hose runter, jemand nimmt es auf und stellt es auf YouTube. Das Video geht viral und du bist auf einmal das Gespött der ganzen Stadt.
Wirst du Sterben? Werden deine guten Freunde sich von dir abwenden? Wirst du deinen Job verlieren?
Mit Sicherheit nicht!
Wenn du nun wirklich einen Vortrag halten musst, kannst du ihn dann schon deutlich entspannter angehen.
Ja, es kann passieren, dass du von manchen Leuten sogar ausgelacht wirst, wenn du einen Fehler machst (auch wenn es super unwahrscheinlich ist), doch wenn man es rational betrachtet, dann gibt es wirklich andere Formen von Leid auf der Welt, die in Relation dazu WIRKLICH schlimm sind.
Oder vielleicht hast du Angst vor sozialem Abstieg?
Dann finde einen Weg damit, dir vorzustellen, was dann passiert. Somit nimmst du der Situation die ganze Macht. Du wirst wohl niemals unter der Brücke leben, denn in Deutschland sind wir sehr gut abgesichert.
Doch Scham entsteht vor allem dadurch, dass wir Angst vor der Bewertung der anderen haben. Wir Menschen sind nun mal alle Herdentiere und brauchen die Anerkennung und Bestätigung unserer Mitmenschen.
Wenn du die schlimmsten denkbaren Szenarien also durchspielst und erkennst, dass nichts, was wirklich Substanz in deinem Leben hat, bedroht werden kann, dann ist das sehr gut für den Seelenfrieden und gegen die Scham.
2: Arbeite an deiner Selbstannahme
Dazu gehört vor allem, dass du deine Person von deinem Verhalten trennst. Aufgrund der gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben, haben sehr viele Menschen ihren Selbstwert an ihre Leistung gekoppelt.
Bereits in der Schule lernen wir, dass Fehler oder schlechte Leistungen nicht gut sind und schlecht benotet werden. Leider entsteht dann oft die Verknüpfung „schlechte Noten = schlechter Mensch“. Doch das stimmt natürlich nicht. Nur unser Fokus ist dann vor allem auf den Fehler oder das, was an uns „falsch“ ist, gerichtet.
Deswegen unser Rat: Besinne dich regelmäßig und bewusst immer wieder auf das, was an dir großartig und wunderschön ist. Und im besten Fall: Erkenne auch all deine kleinen Fehlerchen und Unzulänglichkeiten als großartig und wunderschön an. Das hilft extrem, deine Scham zu reduzieren.
Selbstannahme kann sich natürlich auch auf die körperliche Ebene beziehen. Eine hervorragende Übung ist es, dich so wie Gott dich schuf – im Eva- oder Adamskostüm – vor den Spiegel zu stellen und dich für einige Minuten wirklich von oben bis unten zu mustern.
Jede Falte, jede Imperfektion, jede Stelle, wo du eventuell befindest, dass dort etwas weniger Speck sein sollte: Sobald du JA dazu sagst, nimmst du den Dingen ihre negative Power über dich sowie all das Schampotenzial, das dich von deiner freiesten Du-Version zurückhält.
3: Höre auf, dich selber zu verurteilen
Das ist natürlich einfacher gesagt als getan. Doch bedenke immer: Wenn dir vielleicht mal ein Fehler unterläuft und dir etwas peinlich ist, dann machst du es weder ungeschehen noch besser, wenn du dich noch lange darüber ärgerst.
Dieser Tipp ist selbstredend auch kein Freifahrtschein, alles zu tun und zu lassen, was du möchtest. Es ist wichtig, dass du im Sinne deiner Werte handelst und dich fragst, ob ein eventuelles schlechtes Gewissen vielleicht sogar berechtigt ist. Beispielsweise wenn wir in einem Streit etwas sagen, was wir später bereuen und wofür wir uns später schämen.
Doch mein Ratschlag an der Stelle: Vergib dir selber – und vor allem handle schnell, indem du dich zum Beispiel entschuldigst. Bei Scham hilfst du weder dir selber, noch der anderen Person. Im Gegenteil: Ein gutes Selbstvertrauen strahlt auch auf die Personen in deinem Umkreis ab.
Zu dem Aspekt des sich-nicht-selber-Verurteilens gehört aber genauso, dass du dich nicht grämst, wenn deine Scham dann doch mal wieder einsetzt.
Das wird tausendprozentig passieren. Vielleicht sogar dein Leben lang. Sei nicht so hart mit dir. Akzeptiere es, geh am besten sogar offen damit um und stehe im Feuer dieser Gefühle – dann gehen sie am schnellsten wieder weg.
Denn wer anfängt, sich für seine Scham auch noch zu schämen – das haben wir anfangs des Artikels schon beleuchtet – gerät schnell in einen selbstverstärkenden Strudel.
Fazit: Aus der Scham in die Freiheit
Es ist vollkommen okay, sich zu schämen. Dieses Gefühl ist eine Grundfunktion unseres menschlichen Wesens, mit dem wir von klein auf konfrontiert werden.
Doch wenn du für dich merkst, dass deine Scham dir manchmal vielleicht selber im Wege steht, dann bist du herzlich eingeladen, mit den Tipps und Ideen aus diesem Artikel daran zu arbeiten.
Wir alle streben danach, das Leben zu erschaffen, das wir gerne leben möchten. Und es ist doch schade, wenn zwischen dir und deinen Träumen oder dir und deinem Glück lediglich die Scham steht, oder?
Es ist vorrangig eine Sache von Training aus der eigenen Komfort-Zone auszubrechen und neue Wahlen zu treffen, mit denen du in einem für dich passenden Rahmen mutig und ohne (sinnlose) Reue leben kannst.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Thema Scham
Scham ist ein menschliches Gefühl, das entsteht, wenn wir denken, wir würden gewisse Normen nicht erfüllen oder nicht nach ihnen leben.
Scham entsteht durch das menschliche Bewusstsein und Selbstwahrnehmung in Bezug auf das, was wir als Normen ansehen. Oft ist diese Wahrnehmung allerdings verzerrt.
Es gibt eine Menge Mittel und Wege, um mit Scham umzugehen: Die Arbeit an den Erwartungen an sich selber, Selbstliebe, das Ausmalen von Worst-Case-Szenarien etc.
Einzelnachweise
0 Comments for “Schäm dich! Was Scham ist und wie du lernst, damit umzugehen”