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Was sind die Vor- und Nachteile einer ausschließlichen Rohkost-Diät?
Werden durch das Kochen von Lebensmitteln die darin enthaltenen Vitamine und Nährstoffe zerstört? Und warum ist die Bioverfügbarkeit einiger Vitamine bei erhitzten Lebensmitteln höher?
Fragen über Fragen, die wir als Biohacker in diesem Artikel kritisch unter die Lupe nehmen. Außerdem zeigen wir dir, auf welche Weise du die Rohkost-Ernährung nutzen kannst, um alle wertvollen Inhaltsstoffe für dich und deine Gesundheit gewinnen zu können.
Was ist Rohkost?
Rohkost beschreibt, wie der Name schon verrät, eine Ernährung die ausschließlich aus rohen, unverarbeiteten Lebensmitteln besteht.
Obwohl mit diesem Begriff meist eine vegane Ernährungsweise verknüpft wird, können neben Gemüse und Obst auch Fleisch, Fisch, Rohmilchprodukte und sogar Eier als Rohkost aufgefasst werden – wenn sie denn roh verzehrt werden.
In diesem Artikel möchte ich mich allerdings ausschließlich auf die vegane Rohkost beziehen, da sie die populärste Variante darstellt und von ihren Anwendern oft als DIE Ernährungsweise schlechthin angesehen wird.
Janis‘ ganz persönliche Rohkosterfahrung
Gründer und CEO von Primal State Janis Budde hat 2012 im Zuge eines Selbstexperiments für 2 Monate nach den Prinzipien einer veganen Rohkost gelebt und getestet, was diese für Auswirkungen auf ihn hat.
Er ging möglichst unvoreingenommen an die Sache heran und führte die Regeln gewissenhaft durch. Es war kurz nach Neujahr, dass er dieses Experiment wagte. Folgender Bericht stammt aus seinem Tagebuch:
„Als ich schließlich mit dem Experiment anfing, bemerkte ich bereits nach wenigen Tagen einen dramatischen Schub meiner Energie. Statt Kaffee gab es bei mir morgens einen grünen Smoothie, Gemüse, Beeren, Nüsse und Obst.
Auf Koffein in Form von Kaffee verzichtete ich in dieser Zeit komplett, die einzige Ausnahme war ab und an ein grüner Tee. Während ich zu Beginn wirklich 3 Mahlzeiten am Tag zu mir nahm, musste ich bereits nach kurzer Zeit weitere hinzufügen, um überhaupt auf meine Kalorien zu kommen und nicht an Masse abzunehmen.
Ich bin von Natur aus ein sehr schlanker Typ und das, was ich wirklich nicht will, ist noch mehr abzunehmen. Es mussten also vollwertige Proteinquellen her, was sehr schwierig ist, wenn man gewohnt ist, durch Fleisch, Eier und Whey ausreichend versorgt zu sein.
Ich entschied mich schließlich, Hanfprotein in meine Ernährung mit aufzunehmen, um zumindest annähernd versorgt zu sein. Trotz aller Anstrengungen zu essen, verlor ich mit der Zeit immer mehr an Muskelmasse.
Der anfängliche Energieschub ließ ab der Hälfte des zweiten Monats auch immer mehr nach und ich verlor so langsam die Motivation. Nach 2 Monaten Rohkost brach ich das Experiment ab.“
Fazit des Experiments war für ihn schließlich, dass die vegane Rohkost für ihn keine eigenständige und vollkommene Ernährungsform darstellt, wohl aber der Rohkostgedanke teilweise in seine Ernährung mit aufgenommen werden kann und somit eine Bereicherung darstellt.
Woher kommt der Gedanke, dass vegane Rohkost die einzig wahre Ernährungsform ist?
Und: Warum erleben manche Menschen so große Erfolge damit?
Darüber habe ich einige Zeit nachgedacht und möchte dazu Mutmaßungen anstellen – es sind nur unsere Gedanken zu dem Thema, welche nicht das Recht auf Wahrheit für sich in Anspruch nehmen, sondern für unsere aktuelle Analyse eine logische Erklärung bieten.
Vermutung 1
Viele Menschen steigen von einer minderwertigen Ernährung auf Rohkost um und gleichen somit ein Defizit in bestimmten Mineralstoffen und Vitaminen aus: Das Resultat ist das Gefühl von mehr Energie.
Nachdem die Ernährungsform nun geprüft und für gut befunden wurde, entzieht sie sich einer zweiten, langfristigen Prüfung.
Vermutung 2
Bei einer veganen Rohkost ist es sehr schwierig, seine täglichen Kalorien zu decken. Sie stellt somit in vielen Fällen eine Kalorienrestriktion dar.
Der Körper zieht vor Allem in der Anfangsphase einige Vorteile daraus, da Hunger und Kaloriendefizit in Maßen sogar gesund und vitalisierend wirken können. (Auf lange Sicht wird das Ganze dann jedoch schwieriger…)
Vermutung 3
„Marketing“ – Greens sind sexy. Sie werden mit Gesundheit, dem ewigen Jungbrunnen und Spiritualität in Verbindung gebracht. Während die Stars gefühlt durchgehend „Detox“ machen, ist die vegane Rohkost der letzte Schrei in Hollywood.
Doch genug der Mutmaßungen und subjektiven Selbstexperimenten. – Was sagt die Wissenschaft dazu?
Die Gießener Rohkoststudie
Für die Veranschaulichung möchte ich die „Gießener Rohkoststudie“ anführen, die in den Jahren 1996-1998 unter der Leitung von Prof. Dr. Claus Leitzmann an der Universität Gießen durchgeführt wurde.1Gießener Rohkoststudie.
In dieser Studie sollten die Auswirkungen verschiedener Rohkost-Arten auf die Gesundheit untersucht werden. Die Studienteilnehmer waren zwischen 25-64 Jahre alt, Nichtraucher und mussten sich seit mehr als 14 Monaten zu mindestens 70% aus Rohkost ernähren.
Zu welchen Ergebnissen kam die Studie?
Durch Blutuntersuchungen kam man zum Ergebnis, dass die Zufuhr der Vitamine A, C, E, B1, B6, Folsäure, Betacarotin, Selen und Antioxidantien über den empfohlenen Richtwerten lag. Allerdings wurde für Calcium, Magnesium, Eisen, Zink, Iod, Vitamin D und Vitamin B12 ein erheblicher Mangel festgestellt.
57% der Studienteilnehmer hatten Untergewicht. Ein Drittel der Frauen unter 45 Jahren – also eigentlich vor den Wechseljahren – hatte keine Menstruation mehr.
Weiterhin führte die unzureichende Zufuhr an Eisen bei 43% der Männer und 15% der Frauen zu Anämie, also einer Blutarmut.
Interpretation der Ergebnisse
Aus den Studienergebnissen wurde geschlussfolgert, dass eine ausschließliche Rohkosternährung aus gesundheitlichen Gründen nicht empfehlenswert ist.
Die Vorteile der veganen Rohkost
Auch wenn die Gießener Rohkoststudie so entschieden ausgefallen ist und alle Voll-Rohköstler zum Nachdenken anregen sollte, kann man positives aus der Rohkost ziehen.
Zum einen sind da die hitzeempfindlichen Vitamine, Enzyme und sekundären Pflanzenstoffe, die nicht zerstört werden. Das ist eines der Hauptargumente für Rohkost.
Bei einigen Stoffen erhöht sich allerdings die Bioverfügbarkeit erst durch das Erhitzen – dazu später mehr.
Ein weiteres Argument für die Rohkost ist das Vermeiden von Reaktionsprodukten wie Acrylamid, die bei dem Erhitzen von Speisen entstehen können. Besonders beim Braten, Frittieren und Grillen entstehen diese Stoffe, die mitunter Krebs auslösen können.
Rohkost kann auch bei verschiedenen körperlichen Problemen zu Verbesserungen führen. So kann ein erhöhter Anteil an Rohkost für eine Diät zum Abnehmen genutzt werden. Auch bei koronaren Herzerkrankungen oder Diabetes mellitus Typ-II konnten gute Ergebnisse erzielt werden.2Evidence-based nutritional approaches to the treatment and prevention of diabetes mellitus.
Die großen Nachteile einer veganen Rohkost
Der größte Nachteil einer veganen Rohkost ist in meinen Augen die einseitige Ernährungsweise, welche dem Körper nicht alle Nährstoffe in dem Ausmaß zur Verfügung stellt, die er benötigt.
Zusätzlich ist die Bioverfügbarkeit der Nährstoffe in Pflanzen oft um ein Vielfaches geringer als die von tierischen Lebensmitteln. Ein gutes Beispiel dafür ist Eisen.
Während das Eisen, das in Fleisch und Fisch vorkommt, eine Bioverfügbarkeit von etwa 15-35% aufweist, liegt die Bioverfügbarkeit von Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln bei gerade mal etwa 2-20%.3Iron nutrition and absorption: dietary factors which impact iron bioavailability.
Außerdem wird Schwangeren, Kleinkindern und Menschen mit Immunproblemen der Verzehr von rohen Produkten gänzlich abgeraten.
Bioverfügbarkeit – Gekocht vs. ungekocht
Wie bereits erwähnt ist eines der Hauptargumente für eine Rohkost, dass mehr Nährstoffe vom Körper aufgenommen werden können, da sie nicht durch die Hitze zerstört werden. Doch stimmt das so?
Ich hatte es schon angedeutet, auch das Erhitzen von Nahrungsmitteln kann den einen oder anderen Vorteil mit sich bringen. Denn dadurch werden die Zellen stärker aufgebrochen und bereits „vorverdaut“ sodass mehr Nährstoffe dem Körper beim Verzehr zur Verfügung stehen.
Während zwar einige Nährstoffe (wie Vitamin C) nicht sehr hitzestabil sind, werden andere Nährstoffe durch das Erhitzen besser aufgenommen. Zwei Beispiele dafür sind Vitamin A und Vitamin E.4Stability and bioaccessibility of different forms of carotenoids and vitamin A during in vitro digestion.5Bioaccessibility of carotenoids and vitamin E from their main dietary sources.
Antinährstoffe und Fraßgifte
Ein anderes und sehr wichtiges Thema, das für das Erhitzen von Nahrungsmitteln spricht, sind Anti-Nährstoffe und Fraßgifte. Es handelt sich dabei um Stoffe, die andere Nährstoffe unbrauchbar machen oder dem Körper sogar Nährstoffe entziehen können.
Dazu gehören unter anderem Phytinsäure oder Lektine. Diese Anti-Nährstoffe können gerade durch das Erhitzen zum Teil zerstört werden.
Wo stecken die meisten Anti-Nährstoffe drin?
Es gibt einen guten Grund, warum Getreide und Hülsenfrüchte größenteils oder ganz in der Paleo-Diät gemieden werden. In ihnen stecken die größten Mengen an Anti-Nährstoffen wie Lektine oder Gluten. Sie können den Darm schädigen und zu vielen Beschwerden führen.
Auch in Spinat und Grünkohl stecken Anti-Nährstoffe in Form von Phytinsäure. Was das für deinen grünen Smoothies bedeutet, erkläre ich dir im nächsten Absatz.
Was lernen wir daraus?
Während die vegane Rohkost als eigenständige Diät sehr fragwürdig ist, können wir die Elemente und Gedanken dazu nutzen, um unsere derzeitige Ernährungsweise damit aufzupolieren. Im Folgenden erkläre ich dir wie ich die Bausteine einer Rohkost in meinen Alltag einbaue.
Salate + Smoothies
Ich sorge dafür, immer meine „Greens“ zu essen. Sei es in Form von Salaten, die ich zu meinen Mahlzeiten dazu nehme oder in Form von Smoothies. Aber wichtig: Du solltest den Smoothie selber machen und nicht als abgekochten Fertigsmoothie im Supermarkt kaufen.
Smoothies sind ein ganz besonderer Trick, da ein Hochleistungsmixer mit genügend Umdrehungen die Zellwände zerstören kann und somit die Bioverfügbarkeit einiger Stoffe auch ohne Erhitzen erhöht.
Wenn ich Spinat oder Grünkohl für meine Low Carb Smoothies benutze, dämpfe ich diese vorher, um die Anti-Nährstoffe zu verringern. Danach friere ich sie in kleinen Portionen ein und habe für die nächste Zeit gefrorene Würfel, die ich dann mit in die Smoothies geben kann.
Übrigens eignet sich Rohkost auch gut, wenn man einfach mal aus Langeweile oder aus Spaß an der Freude etwas essen möchte, ohne gleich viele Kalorien aufzunehmen. Dafür kann man sich am besten noch einen leckeren Dip machen.
Fazit: Rohkost ist wertvoll, aber womöglich nicht ausreichend
Eine Ernährungsweise, die rein auf veganer Rohkost basiert, führt früher oder später sehr wahrscheinlich zu Mangelerscheinungen. Für mich persönlich ist diese Ernährungsweise zu radikal, zu ideologisch.
Trotzdem konnte ich sehr viele Aspekte aus der Rohkost auf meine eigene Ernährungsweise übertragen, sei es der vermehrte Verzehr von Salaten, Smoothies oder hin und wieder mal – aus der nicht-veganen Rokost – hochwertiger Sushi.
Eine Sache, die mir noch auf dem Herzen liegt, die wir lernen sollten – die ethischer Natur ist – und mit der ich zwangsläufig beim Thema „vegane Rohkost“ in Kontakt getreten bin:
Wenn wir Fleisch auf dem Teller liegen haben, sollten wir dankbar dafür sein. Es war schließlich mal ein Lebewesen, das dafür gestorben ist. Wir sollten dieses Geschenk schätzen lernen, denn eine Schlachtung ist vieles, aber keine schöne Angelegenheit.
Außerdem sollten wir wieder anfangen, nicht immer nur das Filetstück zu nehmen (welches ohnehin nicht die meisten Nährstoffe enthält), sondern das gesamte Tier zu verzehren. Leber enthält beispielsweise unglaublich viele gute Inhaltsstoffe und auch Herz-Gulasch ist eine wahre Nährstoffbombe.
Einzelnachweise
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