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Um gleich zu Beginn den Titel etwas zu entschärfen: Kokosöl hat weder besondere Heilkräfte, noch ist es das reine Gift. Es ist für viele Menschen eine wunderbare Energiequelle.
Doch warum veröffentlichen wir diesen Artikel überhaupt? Am 10.06.2018 wurde der Vortrag “Kokosöl und andere Ernährungsirrtümer” (mittlerweile gelöscht) als Video auf dem YouTube-Kanal der Universität Freiburg veröffentlicht, in dem Frau Prof. Michels die Meinung “Kokosöl ist reines Gift” vertritt.
Ihr Fazit zu Kokosöl ist: “Kokosöl ist gefährlicher für sie als Schweineschmalz. Und sie werden mir zustimmen, dass Schweineschmalz nicht besonders gesund ist. Das wissen wir alle.”
Wir wollen uns in diesem Artikel diese radikale Ansicht näher ansehen und überprüfen, inwiefern Kokosöl, wie von vielen behauptet “ein Wundermittel” oder “das reine Gift” ist.
Also falls Du Dein Kokosöl nicht sowieso schon weggeschmissen hast, warte damit lieber noch, bis Du den Artikel zu Ende gelesen hast.
Unsere Kokosöl Stellungnahme als Video
Die Argumentationskette von Frau Prof. Michels
Der Vortrag von Frau Prof. Michels soll die Zuhörer über viele Ernährungsirrtümer aufklären. Dabei setzt sie einen besonderen Fokus auf sogenannte Superfoods, allen voran dem Kokosöl.
Und auch wir sind der Ansicht, dass Superfoods extrem gehyped werden und hinter den großen Werbeversprechen meist gutes Marketing steht.
Als wir von vielen Lesern verunsicherte Nachrichten über den Konsum von Kokosöl erhielten, mussten wir uns natürlich diesen Vortrag selbst ansehen. Und tatsächlich waren viele Aspekte und Punkte des Vortrags interessant.
Zunächst sei gesagt, dass wir uns auf einen Fachbeitrag eingestellt haben, in dem eine Professorin differenziert über aktuelle Studienergebnisse referiert. Wir bereiteten uns darauf vor, diese Studien durchzuarbeiten, zu reflektieren und dann eine umfassende Stellungnahme zu schreiben.
Doch das, was uns im Vortrag tatsächlich erwartete, hat uns überrascht. Frau Prof. Michels traf eine pauschale Aussage nach der anderen, verzichtete weitestgehend auf den Beleg mit Studien und ignorierte bestimmte Wirkmechanismen im Körper vollkommen.
Das Resultat: Erst ein hörbar verunsicherter Hörsaal und schließlich Millionen verunsicherte Video-Zuschauer.
Das Kokosöl bekam direkt zu Beginn sein Fett weg. Ihre Aussage stützte sie alleine auf eine Empfehlung der American Heart Association die Menge an gesättigten Fettsäuren in der Ernährung zu reduzieren.
Dennoch kann man Frau Prof. Michels zugute halten, dass sie in ihrem Vortrag nicht die DGE Ernährungspyramide empfiehlt und den Konsum von raffiniertem Zucker und Getreideprodukten auch kritisch sieht.
Doch worauf beruft sich die American Heart Association, die als Hauptargument für Frau Prof. Michels dient?
AHA – American Heart Association
Die AHA hat Studien1-4 und Erklärungen veröffentlicht, die besagen, dass gesättigte Fettsäuren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
Es wird darin empfohlen, gesättigte Fettsäuren in der Ernährung durch ungesättigte Fettsäuren aus pflanzlichen Quellen wie Rapsöl, Sonnenblumenöl, Olivenöl, Sojaöl und Co. zu ersetzen, um das Herz-Kreislauf Risiko zu senken.
Die erhöhte Risikorate wird über eine Erhöhung des schlechten LDL-Cholesterins durch gesättigte Fettsäuren erklärt.
Neuere Studien kommen jedoch zu einem anderen Schluss. Diese legen Nahe, dass der Austausch von gesättigten Fettsäuren gegen mehrfach ungesättigten Fetten und Kohlenhydraten Probleme mit sich bringt.5-6
Warum werden gesättigte Fettsäuren von einigen Wissenschaftlern so verteufelt?
Im Hinterkopf einiger Gesundheitsorganisationen spukt immer noch die 7-Länder-Studie von Anceyl Keys aus den fünfziger Jahren: Darin wird behauptet, dass gesättigte Fettsäuren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in einem linearen Zusammenhang erhöhen.
Heißt: Je mehr gesättigte Fettsäuren jemand isst, desto höher ist das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden.
Leider wurden nicht alle Daten für die Studie genutzt. So wurden Länder wie Dänemark und Norwegen komplett ignoriert, wo die Herzerkrankungen bei hohem Konsum an gesättigten Fettsäuren niedrig sind.
Oder Chile, wo der Anteil an gesättigten Fettsäuren sehr gering ist, aber das Risiko für Herzerkrankungen sehr hoch.
Außerdem konnte bei dieser Studie nur eine Korrelation und keine Kausalität (Ursache -> Wirkung) festgestellt werden. Das bedeutet, dass die Daten zwar in Zusammenhang stehen, allerdings auch viele andere Faktoren in der westlichen Welt zu diesen Problemen führen können.
Zum Beispiel wurde außer Acht gelassen, in welcher Qualität diese Fette zu sich genommen wurden. Wurde das gesättigte Fett in einem Burger mit Pommes Mayo zugeführt? Oder wurde es mit gedünstetem Gemüse und hochwertigem Protein verzehrt?
Außerdem außer Acht gelassen wurden Faktoren wie ein erhöhtes Stresslevel oder fehlende Bewegung. Zudem war der Konsum von Tabak in den 50er Jahren ein Statussymbol.
Was der auslösende Faktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen war, erklärt diese Studie nicht.
Trotzdem war dies der Startschuss für alle Anti-Fett-Kampagnen der öffentlichen Gesundheitsorganisationen, Lebensmittelindustrie und Pharmaindustrie in den letzten 50 Jahren.
Sie war der Ausgang für eine weltweite “low-fat”-Kampagne, die letztlich in fettarmer Margarine, fettarmen Chips und fettarmen Gummibärchen in örtlichen Supermärkten mündete; und vielleicht einer der Gründe, warum heute jeder zweite Amerikaner und jeder zweite Deutsche im Laufe seines Lebens an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung erkrankt.
Interessant: In jedem seiner wissenschaftlichen Studien entschärfte Ancel Keys selbst, „dass es sich um Korrelationen, jedoch nicht um kausale Zusammenhänge handelt“.
Kokosöl und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Da Kokossöl die reichhaltigste Quelle an gesättigten Fettsäuren überhaupt ist und sowohl 7-Länder-Studie als auch die AHA gesättigte Fette verteufeln, weil es LDL-Cholesterin erhöht, ist für Prof. Michels die Schlussfolgerung klar: “Kokosöl ist pures Gift, das schlimmste Lebensmittel überhaupt (…) und führt direkt zu Herzinfarkt, Schlaganfällen und Co.”
Was leider völlig außer Acht gelassen wird, sind zwei weitere entscheidende Faktoren.
Faktor 1: Gesättigte Fettsäuren verbessern die Qualität von LDL-Cholesterin
Nicht nur die Menge an LDL-Cholesterin ist entscheidend, sondern auch die Qualität. So konnte gezeigt werden, dass gesättigte Fettsäuren die Partikelgröße des LDL-Cholesterins verbessern. Dadurch verringert sich das Risiko, dass sich das LDL-Cholesterin in das innere der Gefäßwände ablagern.7
Faktor 2: Gesättigte Fettsäuren erhöhen auch das “gute” HDL-Cholesterin
Hier wird die Pauschalität der Aussage besonders klar. Nicht nur das LDL-Cholesterin ist entscheidend, sondern auch die Menge des guten HDL-Cholesterins ist wichtig.
Speziell Kokosöl erhöht das HDL-Cholesterin durch die enthaltenen mittelkettigen Fettsäuren mehr als andere gesättigte Fette.8 Das bedeutet, dass das “Netto-Risiko” für Herz-Kreislauf-Krankheiten nicht steigt.
Doch was ist mit Zucker und Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
Bevor wir jetzt den nächsten Übeltäter ausmachen, ist es wichtig zu verstehen, dass auch Zucker und Kohlenhydrate nicht unser Feind sind. Sie sind ein ganz normaler Makronährstoff, den unser Körper und speziell unser Gehirn benötigt.
Das Problem ist allerdings, dass wir in der westlichen Ernährung einen viel zu hohen Anteil an raffiniertem Zucker und Getreideprodukten haben, der auf Dauer ungesund ist.
Hier stimmt sogar Frau Prof. Michels in ihrem Vortrag zu.
Denn eine Ernährung, die auf verarbeiteten Kohlenhydraten wie Brot, Nudeln und Zucker basiert, führt zu erhöhten Blutfettwerten und niedrigen HDL-Cholesterin Werten.9
Und für alle, die noch glauben, dass vermeintliche Experten immer recht haben: Der tägliche Konsum von Brot, Nudeln und Co. ist genau die Ernährungsweise, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihrer Ernährungspyramide immer noch empfiehlt.
Aktuelle Studien zu Kokosöl
Es gibt tatsächlich einige Studien, die sogar, anders als von Frau Prof. Michels behauptet, die positive Wirkung von nativem Kokosöl am Menschen zeigen.
In diesen Studien wurde kaltgepresstes, natives Kokosöl verwendet. Diese Eigenschaft ist besonders wichtig, da sie die Qualität des Nahrungsmittels berücksichtigt.
So konnten diese Studien zeigen, dass sich die Bluttfettwerte bei einer fetthaltigen Ernährung mit Kokosöl verbessert haben.10-11 Wir bereits erwähnt ist Kokosöl in der Lage das HDL-Cholesterin zu erhöhen. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2018 unterstreicht diese Beobachtungen.12
Kokosöl: Das Fazit
Die Grundlage auf der Frau Prof. Michels die Aussage “Kokosöl ist reines Gift” trifft, steht nicht nur auf wackligen Beinen, sondern wurde mittlerweile durch aktuelle Forschungen mehrfach widerlegt.
Allerdings finden wir es wichtig, dass Lebensmittel immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Dies sollte unserer Meinung nach jedoch sachlich, differenziert und ohne Panikmache geschehen.
Bei Primal State sind wir fest davon überzeugt, dass nicht ein einzelnes Lebensmittel für Gesundheit und Vitalität bis ins tiefste Alter verantwortlich ist, sondern ein gesunder Lebensstil.
Kann ich jetzt Kokosöl weiterhin verwenden?
Es spricht nichts dagegen, ganz im Gegenteil.
Kokosöl ist speziell in der Low Carb Diät und ketogenen Ernährung eine wunderbare Energiequelle, da der Körper die enthaltenen mittelkettigen Fettsäuren bevorzugt in Ketonkörper umwandeln kann.
Diesen Zustand nennt man in der Fachsprache auch Ketose.
Du kannst Kokosöl also gerne weiterhin als Speisefett verwenden und brauchst kein schlechtes Gewissen dabei haben.
Es ist allerdings auch kein Wundermittel, das Krankheiten heilt oder göttliche Erleuchtung schenkt. Der Kontext ist entscheidend und wenn Du Deine Burger und Pommes in Kokosöl tränkst, sind diese dadurch nicht weniger schädlich. An gedünstetem Gemüse und Salaten macht es hingegen eine gute Figur.
[accordion-item title=“Einzelnachweise“]-
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