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Das Geheimnis für mehr Energie? Den Fokus auf das richten, was dich stärkt und weniger auf das, was dich schwächt. Klingt logisch, oder? Doch ganz so einfach ist es manchmal nicht. Denn es gibt seit Jahrzehnten ein von Psychologen und Persönlichkeitsforschern anerkanntes Phänomen, welches beschreibt, dass mehr in uns steckt als wir denken. Und zwar mehr von dem, was wir eigentlich nicht wahrhaben wollen. Mithilfe der Schattenarbeit können diese Faktoren erörtert und integriert werden.
Was ist die Schattenarbeit?
Der Begriff „Schatten“ wurde im letzten Jahrhundert durch den bekannten Psycho-Analytiker C.G. Jung geprägt.1https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14755111/ In den letzten Jahrzehnten brachten Ärzte, Psychologen und viele Autoren das Thema wieder zum Aufleben.
C.G. Jung ging davon aus, dass jeder Mensch eine Vielzahl von Persönlichkeitsanteilen in sich trägt. Dabei gibt es aber nicht nur die guten Seiten, sondern auch jene, die wir erst einmal schwach, abstoßend oder schlichtweg nicht für wahr halten.
Ein Baby oder Kleinkind kann zum Beispiel die Klaviatur seiner Persönlichkeitsaspekte breit von unten nach oben spielen. Mal ist es mutig, lacht viel oder schreit. Dann ist es im nächsten Moment wieder ängstlich, wütend oder traurig. Wir könnten auch sagen – der Mensch kommt von seiner Veranlagung her in voller Gänze auf die Welt.
Wie äußere Einflüsse auf unser Selbstbild einwirken
Wenn wir älter werden, ändert sich das. Der Grund: Es gibt einen Moralkodex und wir lernen mit der Zeit, was gut und was schlecht ist. Und damit einhergehend erzeugen wir ein Selbstbild von uns, das uns sagt, welche Verhaltensweisen gut oder schlecht sind. Dies beeinflusst unter anderem:
- Wie wir denken,
- wer wir denken zu sein,
- wie wir uns selbst am liebsten mögen.
Mit dem Schatten meint C.G. Jung nun Folgendes: Es gibt noch viel mehr Anteile in uns, welche „wir auch sind“, aber partout nicht sein wollen. Das können Verhaltensweisen, Gefühle aber auch ganz spezifische Eigenschaften sein. Einige der Klassiker unter diesen Anteilen sind:
- Geiz
- Wut
- Neid
- Zorn
- Angst
- Schwäche
Diese Punkte sind lediglich nur einige Beispiele für Persönlichkeitsanteile, welche viele von uns in sich tragen, aber nicht fühlen oder denken wollen. Oft schlicht deswegen, weil uns beigebracht wurde, dass diese Anteile schlecht, böse oder nicht „normal“ sind.
Nach dem Schattenprinzip verdrängen wir all diese eigenen Anteile in das Unterbewusstsein und koppeln uns zunächst von ihnen ab. Doch diese Anteile sind natürlich trotzdem noch da und ploppen – wie wir gleich sehen werden– zu ungünstigen Momenten immer mal wieder an die Oberfläche. Dies endet dann oft darin, dass unsere Schatten von selbst verleugnet, bekämpft oder noch stärker betäubt werden.
Wie äußert sich der Schatten im Alltag?
Eine der wohl wichtigsten Fragen zu diesem Thema: Wie erkenne ich meine Schatten? Die Antwort ist relativ einfach: Alles, was dich triggert, besitzt ein Schattenpotenzial.
Diese Erklärung mag zunächst einmal hart klingen – denn schließlich gibt es auf dieser Welt viele schlechte Dinge, die wir alle sicherlich nicht gerade toll finden und auch nicht akzeptieren wollen.
Daher ist folgende Unterscheidung wichtig: Wenn wir im Zuge der Schattenarbeit einen Schattenanteil an die Oberfläche holen, geht es nicht darum, sich mit diesem Anteil zu identifizieren. Vielmehr ist es wichtig diesen Anteil als buchstäblichen Teil von uns anzuerkennen und gesund zu integrieren. Was das genau bedeutet, erfährst du gleich noch.
Was ist dein Schatten?
Doch lass uns zunächst zur besseren Anschauung den eigenen Schatten an Beispielen festmachen. Zunächst eines, welches vermutlich nicht auf dich zutreffen wird. Stelle dir vor, jemand bezichtigt dich als Kunstdieb.
Vielleicht hältst du den Vorwurf für lächerlich oder bist einfach nur irritiert. Diese Anschuldigung kannst du problemlos links liegen lassen. Oder in anderen Worten – es ist dir egal, weil an diesem Vorwurf nichts dran ist und dein mentaler Schattendetektor nicht in Resonanz geht.
Wahrscheinlich weißt du nun bereits, worauf die Sache hinausläuft – immer dann, wenn ein unbewusster Schattenaspekt in dir getriggert wird, springt irgendetwas in dir laut an. Sprich, du verleugnest oder bekämpfst diesen Schatten – und vor allem: Du projizierst diese Abneigung auf jemand anderen oder auf etwas anderes. Was könnte das sein?
- Jemand fährt mit einem teuren Auto an dir vorbei. Dein neidvoller Schattenanteil wird getriggert. Daraufhin lästerst du über solche Autos (oder die Menschen darin) oder schluckst deinen Neid herunter.
- Dein vorlauter Arbeitskollege macht dich wütend. Doch du erlaubst dir nicht wütend zu sein. Die Wut wird verleugnet oder einfach wegargumentiert.
- Jemand ist erfolgreicher oder berühmter als du. Anstatt das eigene Potenzial zu erkennen (was bedeuten würde diesen Schatten zu integrieren) wird diese Person von dir neidvoll kritisiert.
- Jemand verschafft sich einen beruflichen Vorteil, weil diese Person sich nicht an gewisse Regeln hält. In dir steigen Ärger oder Wut auf diese Person auf, weil sie damit durchgekommen ist.
Fassen wir also noch einmal kurz zusammen: Die Schatten, also abgespaltene Persönlichkeitsanteile, zeigen sich immer dann, wenn du stark auf etwas reagierst. Dies können Eigenschaften, Worte oder Verhaltensweisen anderer Menschen sein.
Warum der Schatten viel Energie rauben kann
Eines steht fest: Wenn ein Mensch seinen Schatten verneint, unterdrückt er ihn. Insbesondere gilt das für Gefühle wie Wut, Trauer, Ärger, Neid, Scham, Zorn, Lust, Machthunger, Egoismus und viele weitere.
Einige wissenschaftliche Stimmen gehen davon aus, dass ein Großteil unserer Energie in Emotionen gebunden ist. Und das ist auch vollkommen logisch. Denn Emotionen werden auch als „Energie in Bewegung“ beschrieben.
Zusammenhänge zwischen Emotionen und Körper
Viele von uns haben sicherlich schon einmal die Erfahrung gemacht, wie befreiend es sich anfühlen kann, reine Wut, Trauer oder selbst Zorn zu empfinden und auszudrücken. Was nicht bedeutet, dass diese Emotionen rücksichtslos – im schlimmsten Fall gegen andere – ausgelebt werden sollen, sondern nüchtern wahrgenommen und akzeptiert.
Auch die gesamte Fachrichtung der Psychosomatik beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Thematik von unterdrückten Emotionen. Sie liefert Anhaltspunkte, dass gewisse unterdrückte Emotionen mit spezifischen körperlichen Symptomen einhergehen können.2https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2019.01897/full
Auch die uralte Praxis der traditionellen chinesischen Medizin hat den Zusammenhang zwischen Emotionen und spezifischen Organfunktionen tief in ihrer Theorie verankert.3https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6447656/
Wie verdrängte Schattenanteile uns selbst im Wege stehen
Doch lass uns praktisch bleiben. Ein verdrängter Schatten kann auch im ganz normalen Alltag zum Problem werden. Insbesondere dann, wenn Schattenanteile in unangemessenen Situationen an die Oberfläche ploppen und dann Probleme verursachen. Die Anteile suchen sich daraufhin Ventile und können destruktive Handlungsmuster erzeugen. Einige Beispiele:
- Plötzliche Wutanfälle in Beziehungen, Straßenverkehr, Beruf
- Unbegründete Eifersucht
- Grundlose Abneigung gegenüber erfolgreichen Mitmenschen
- Übertriebener Scham oder Scheu in sozialen Situationen
- Übermäßiger Konsum von Drogen oder Genussmitteln, um den Schatten noch mehr zu betäuben
- Emotionen wie Trauer, Wut oder Zorn werden so weit unterdrückt, dass es zu depressiven Verstimmungen kommen kann
Um diese und ähnliche Verhaltensweisen dauerhaft aufzulösen, empfiehlt sich die Schattenarbeit. Eine bekannte Variante ist die 3-2-1-Schattenarbeit.
3-2-1 Schattenarbeit: Wie du deinen Schatten befreist
Eins sollte jetzt klar geworden sein – den Schatten zu unterdrücken macht wenig Sinn. Denn so geraten wir immer wieder mit unseren abgestoßenen Anteilen aneinander. Und genau dies kann unvorteilhafte Folgen haben: Körperliche Symptome, Energiemangel, unangemessenes Verhalten. Oder auch, dass der Betroffene ständig nach außen projiziert, ohne sein eigenes Potenzial, seine Sehnsüchte und Träume in Angriff zu nehmen.
Was dabei hilft, ist sonnenklar: Den Schatten wieder zu integrieren. Dabei geht es – wie bereits erwähnt – nicht darum, diese Anteile ab sofort komplett im Leben auszudrücken. Die Schattenarbeit dient dazu, das eigene Bewusstsein wieder ganzer und heiler zu machen, damit die Schattenanteile keinen praktischen und energetischen Schaden anrichten.
So funktioniert die 3-2-1-Schattenarbeit
Die 3-2-1-Schattenarbeit stammt aus der Feder des integralen Bewusstseinsforschers Ken Wilber und kann sehr effektiv und schnell angewandt werden.
3-2-1 steht in dem Zusammenhang für die Pronomen der dritten Person (er, sie, es), der zweiten Person (du) und der ersten Person (ich). In dieser Reihenfolge soll der Schatten entfremdet werden, sodass er letztlich mit dem Selbstbild vereint werden kann.
1. Er, sie, es: Nimm deinen Schatten anhand von Triggern aus der Außenwelt wahr
Wenn dich ein Thema, eine Person oder Verhaltensweise besonders aus der Fassung bringt, kannst du damit rechnen, dass du es mit einem Schattenanteil zu tun hast.
Im ersten Schritt der Schattenarbeit gilt es also den Schatten zu erkennen und wahrzunehmen. Sprich – worum geht es? Versuche das, was dich stört (er, sie, es?), nicht zu relativeren. Dabei gehst du im ersten Schritt in die Vogelperspektive und schaust als Zeuge auf dich, auf die andere Person und auf das, was dich stört.
Ein Beispiel: Irgendetwas an Bernd stört dich total und entfacht Wut in dir. Heute ist er wieder viel zu spät zu einem Termin erschienen. Nimm in dieser Situation deine Wut bewusst wahr und beobachte Bernd mitsamt seiner Worte, Verhaltensweisen oder Eigenschaften, die dich auf die Palme bringen.
Schon alleine aus dieser Perspektive heraus können dir unbewusste Aspekte deiner selbst mehr bewusst werden und sich womöglich bereits entspannen.
2. Du: In Kontakt mit dem Schatten kommen
Nun gehst du wieder in deine eigene Perspektive und suchst einen imaginären Dialog mit Bernd. Du musst Bernd natürlich nichts davon erzählen, denn schließlich geht es um deinen Schattenanteil. Dabei kannst du Bernd fiktiv alles um die Ohren hauen, was du fühlst. Halte nichts zurück. Sei nicht netter als du in diesem Moment bist.
Am Beispiel der Unpünktlichkeit könnte ein Dialog ungefähr so aussehen:
„Du bist immer so verdammt unpünktlich! Das macht mich wahnsinnig.“ In diesem Punkt geht es also darum, deine Empörung und damit auch deinen Schatten komplett zu spüren. Auf energetischer Ebene kann das körperlich sehr befreiende Wirkung haben. Unterdrückte Emotionen, Wunden und Gedanken können hier bereits nach oben gespült werden.
3. Ich: Sei dein Schatten
Nun verschmilzt du mit deinem Schatten und siehst dich selbst vollkommen aus der Sicht der anderen Person, mitsamt dem „störenden Thema“. Das bedeutet auch, du nimmst die Perspektive des anderen ein und fühlst dessen Realität. In den meisten Fällen bringt diese Übung viel Verständnis, Entspannung und Ruhe.
Wenn wir bei unserem Beispiel der Unpünktlichkeit bleiben, kannst du so vielleicht sehen, warum die Person immer unpünktlich ist. Was sie damit eigentlich bezwecken möchte und welches Geschenk oder welche Lernaufgabe in diesem Verhalten für dich liegt.
Nach Ken Wilber ist es ebenso zu empfehlen, dass du dir abschließend vorstellst, abwechselnd oder gleichzeitig beide Positionen einzunehmen (also deine eigene und die des Gegenübers). An dieser Stelle kannst du oft mit etwas Übung fühlen, dass die dich störende Eigenschaft auch in dir latent vorhanden ist und der andere oft nur ein Spiegel davon ist.
Fazit: Schattenarbeit bedeutet den Schatten zu umarmen
Zugegeben, auf dieser Welt gibt es vieles, was einen so richtig auf die Palme bringen kann. Gut so. Denn am Ende brauchen wir eine gewisse Form von Moral und Regeln, damit das Leben nicht im Chaos versinkt.
Doch dabei sollten wir nicht unsere eigene Biologie verleugnen. Auch „negative“ Persönlichkeitsmuster sind Teil unseres Menschseins. Werden diese Teile nicht bewusst anerkannt, kann es zu Problemen kommen und wir vermissen es womöglich uns „vollständig“ zu fühlen.
Das 3-2-1-Schattenprinzip ist sicherlich kein Allheilmittel. Doch es ist ein nützliches, effektives Tool, welches uns Verständnis und Frieden für nerven- und kraftraubende Aspekte anderer Menschen gibt. Aspekte, welche irgendwo in der Tiefe auch in uns selbst innewohnen. Oder wie der persische Dichter Rumi sagte: „Diese Welt ist ein Spiegelkabinett. Alles, was du siehst, bist du.“
Einzelnachweise
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